Wer einen Steuerbescheid erhält, muss die Einspruchsfrist im Blick behalten. Doch was passiert, wenn nicht an allen Werktagen zugestellt wird? Dieser Artikel erklärt die aktuellen Regelungen zur Bekanntgabefiktion und gibt wertvolle Tipps, wie Sie Ihre Rechte wahren.
Bekanntgabe des Steuerbescheids und Beginn der Einspruchsfrist
Die Einspruchsfrist gegen einen Steuerbescheid beträgt grundsätzlich einen Monat, beginnend mit der Bekanntgabe des Bescheids. Erfolgt die Zustellung per einfachem Brief, gilt der Steuerbescheid am vierten Tag nach Aufgabe bei der Post als bekannt gegeben. Diese sogenannte Bekanntgabefiktion ist in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO geregelt. Bis Ende 2024 galt noch eine Drei-Tages-Frist.
Beispiel: Trägt Ihr Steuerbescheid das Datum 4. Juli 2025, gilt er am 8. Juli 2025 als bekannt gegeben. Die Einspruchsfrist endet dann am 8. August 2025. Fällt der vierte Tag auf ein Wochenende oder einen Feiertag, verschiebt sich die Bekanntgabe auf den nächsten Werktag.
Probleme bei eingeschränkter Zustellung durch private Postdienste
Mit dem zunehmenden Einsatz privater Postdienstleister häufen sich Fälle, in denen an einzelnen Werktagen keine Zustellung erfolgt. Einige Dienstleister liefern beispielsweise samstags grundsätzlich nicht aus oder arbeiten mit Subunternehmern, was die Zuverlässigkeit beeinträchtigen kann.
Der Bundesfinanzhof (BFH) entschied jedoch bereits 2018, dass die Bekanntgabefiktion auch bei privaten Postdienstleistern grundsätzlich gilt. Maßgeblich ist, ob die organisatorischen Abläufe des Dienstleisters eine regelmäßige Zustellung innerhalb der Frist ermöglichen (BFH-Urteil vom 14.06.2018, III R 27/17).
BFH bestätigt Bekanntgabefiktion trotz eingeschränkter Zustellung
Aktuell hat der BFH mit Urteil vom 20.02.2025 (VI R 18/22) erneut bekräftigt, dass die Einspruchsfrist auch dann zu laufen beginnt, wenn der beauftragte Postdienstleister an einzelnen Werktagen keine Zustellung vornimmt.
Der konkrete Fall:
- Das Finanzamt erließ am 15.06.2018 einen Einkommensteuerbescheid und verschickte diesen per Post.
- Die Klägerin reichte den Bescheid verspätet an ihren Steuerberater weiter, der am 19.07.2018 Einspruch einlegte.
- Das Finanzamt verwarf den Einspruch als unzulässig, da nach damaliger Drei-Tages-Frist der Bescheid am 18.06.2018 als zugestellt galt. Die Einspruchsfrist endete somit am 18.07.2018.
Der BFH bestätigte diese Rechtsauffassung: Selbst wenn der Postdienstleister nur an fünf Werktagen wöchentlich zustellt, bleibt die Bekanntgabefiktion anwendbar. Nur bei substantiiertem Vortrag, der ernsthafte Zweifel an der fristgerechten Zustellung begründet, kann die gesetzliche Vermutung erschüttert werden.
Verantwortung des Einspruchsführers bei Fristwahrung
Ein Steuerpflichtiger darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die üblichen Postlaufzeiten eingehalten werden. Lediglich kurz vor Fristablauf sollte eine sichere Versandart gewählt werden, um Verzögerungen zu vermeiden. Dies entschied der BFH auch im Urteil vom 27.11.2024 (IV R 25/22).
Seit dem 01.01.2025 sind zudem die verlängerten Postlaufzeiten durch das Postrechtsmodernisierungsgesetz (BGBl I 2024 Nr. 236) zu beachten, wonach sich die Laufzeiten für Briefe um einen Tag verlängern können.
Beweislast beim vollständigen Ausbleiben der Zustellung
Interessant ist, dass bei vollständigem Bestreiten des Zugangs der Steuerbescheid nicht als bekannt gegeben gilt. In diesem Fall trägt das Finanzamt die volle Beweislast für die Zustellung (BFH-Urteil vom 29.04.2009, X R 35/08). Schutzbehauptungen reichen hierfür jedoch nicht aus (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.12.2019, 9 K 9073/18).
Praxistipp: Einspruchsfrist beim Steuerbescheid
Warten Sie mit dem Einspruch gegen einen Steuerbescheid nicht bis zum letzten Tag. Sie können zunächst formlos Einspruch einlegen und die Begründung später nachreichen – auch noch nach Ablauf der Monatsfrist.